„Ich habe jemanden kennengelernt!“, sagte sie mit glänzenden Augen zu mir, als wir uns in unserem Lieblingscafé trafen.
„Erzähl! Du strahlst ja richtig! Wie heißt er? Wie alt? Was macht er so?“ Ich konnte es kaum erwarten mehr darüber zu erfahren. Wie jedes Mal. Denn dies geschieht recht häufig. Sie verliebt sich schnell. Obwohl ich es eigentlich nicht verlieben nennen kann, denn es ist eher eine Art „Verknalltheit“. Sie lernt jemanden kennen, baut sich ein Traumschloss und verrennt sich schnell in ihre Fantasien. Aber dafür liebe ich sie ja auch.
„Also. Er heißt D. ist Italiener, hat braune Haare, braune Augen und er sieht einfach toll aus!“
Das glaubte ich ihr sofort. Denn was sie da gerade beschrieb war ihr Traummann. Und dazu noch Südländer. Da hat diesmal der erste Blick gereicht, dass sie hin und weg war.
„Er ist 2 Jahre älter als ich, also hat er das perfekte Alter. Und der hat einen geilen Sixpack, das glaubst du gar nicht! Ich steh zwar eigentlich nicht drauf, aber beeindruckend ist das schon.“
„Warte mal – woher weißt du, dass er einen Sixpack hat? Du hast doch nicht etwa schon mit ihm geschlafen, oder?“
„Neee. Aber auf seinem Profil hat er mehrere Bilder davon..“, sie wurde auf einmal ganz kleinlaut. Sie wusste, dass ich nichts von diesen Dating-Apps halte. Die Männer sind meist nur auf das Eine aus und verarschen die Frauen nach Strich und Faden.
„Wir haben fast 6 Stunden lang geschrieben. Er hat nie nach einem Treffen gefragt oder ähnliches. Er wollte mich einfach kennenlernen. Ich habe noch nie mit einem Mann so tiefgründige Gespräche geführt nach so kurzer Zeit. Er wirkt als wäre er Mitte 30, nicht fast so alt wie ich. Er hat eine unglaubliche Lebenserfahrung. Mir tat es so gut mich mit ihm zu unterhalten. Vor allem, weil währenddessen eine Nachricht nach der anderen von Idioten eingetrudelt ist…du glaubst nicht, was da alles kam.“
Doch, ich glaubte es. Auch ich war bei solchen Apps mal angemeldet. Es ist Horror. Bilder von Dingen, die man nicht sehen will. Ungefragt. Obszöne Anmachsprüche. Intime Fragen. Geständnisse. Ich frage mich ja, was sich Männer dabei denken. Ich frage mich aber viel mehr, ob so etwas wirklich bei einer Frau ankommt.
„Aber er war ganz anders. Er ist selbstständig und ich glaube er hat auch einiges auf dem Konto. Er hat schon eine Eigentumswohnung. Und ein Auto. Und das alles in dem Alter schon. Das finde ich sehr beeindruckend.“
„Das klingt aber nicht, als hättet ihr viel gemeinsam.“, merkte ich vorsichtig an.
Sie wurde traurig und seufzte. „Ja. Das ist das Problem. Er lebt in einer vollkommen anderen Welt. Er arbeitet viel. Ist fast nie zuhause. Er hat viel Geld. Hat viele Freunde. Ist von vielen Frauen umgeben. Er macht viel viel Sport und achtet auf sich.“
„Wieso ist er von vielen Frauen umgeben? Ist er Stripper? Oh Gott, er ist doch kein Callboy, oder?“
„Nein, nein. Er ist selbstständig und betreibt eine eigene Modelagentur. Irgendwas mit Katalogmodels. Aber meistens ist er wohl im Büro. Aber auch viel unterwegs und nicht zuhause.“
„Hmm. Klingt nach einem guten Fang. Wieso ist so jemand Single?“
„Das weiß ich nicht. Ich konnte raushören, dass er wohl eine miese Beziehung hinter sich hat. Wo sie nicht zu ihm stand, ihn betrogen hat vermutlich auch. Aber er ist so ein positiver Mensch. Er hat mich so motiviert in den paar Stunden, das war wahnsinn. Er könnte mich bestimmt ziemlich gut anspornen beruflich.“
„Du steigerst dich schon ganz schön in die Sache rein, kann das sein?“
„Mag sein. Ich hab nur lange nicht mehr so eine Aufmerksamkeit von einem so tollen Mann bekommen. Aber am Anfang sind sie ja alle so.“
„Das ist wahr. Am Anfang ist man alles für sie. Und nach 2-3 Jahren hören sie einem nichtmal mehr zu.“
Auch ich kenne das. Aber genau wie sie glaube ich daran, dass es bei der großen Liebe anders ist. Aber wie lange soll man einen Mann denn „probieren“, um es endgültig zu wissen? Ihre letzte Beziehung zerbrach nach 3 Jahren. Sie war sich sicher, dass er der Richtige ist. Ich auch. Alle waren es. Aber dann zerbrach die Bindung. Er gab sich keine Mühe mehr. Das Vertrauen schwand. Sie war unglücklich.
„Er verkörpert soviel, was ich mir wünsche. Aber andererseits sind das auch totale Gegensätze zu mir.“
„Du musst dir klar werden, welche Attribute für dich am wichtigsten sind. Ich persönlich bezweifle, dass du mit einem Mann glücklich wirst, der so aussieht, wie du beschrieben hast. Du hättest große Verlustängste und ständige Angst, dass er eine hübschere findet.“
„Soll ich lieber einen nehmen, den ich nicht attraktiv finde?“
Ich lachte. „Ja, vielleicht wäre das am Besten. Aber dann besteht ein höheres Fremdgehrisiko.“
„Ich hasse fremdgehen. Außerdem wird es immer einen noch attraktiveren Mann geben. Auch wenn ich mit diesem Schönling zusammen wäre.“
„Auch wieder wahr. Ich kann dir nicht sagen, was das Richtige ist. Kannst du mit dem was du schon von ihm weißt denn leben?“
Sie brauchte nicht lange überlegen. „Nein. Ich will nicht, dass mein Mann ständig weg ist. Oder hübsche Katalogmodels betreut. Mit ihnen was trinken geht zum Zwecke der Kundenbindung. Oder wenn er mal zuhause ist den ganzen Abend im Fitnessraum verbringt. Playstation spielen können wir ja zusammen. Und dann steht er da mit seinem perfekten Sixpack während ich gerne ein Eis essen möchte. Nein, ich denke das wird nichts.“
Siehe da, sie ist ja doch ganz vernünftig. „Und jetzt? Schreibst du ihm nicht mehr?“ Ich kannte die Antwort bereits.
„Doch klar. Er baut mein Selbstwertgefühl auf. Er ist nett zu mir. Er motiviert mich. Ich muss ihn ja nicht gleich heiraten.“
Ich fragte mich, ob sie recht hatte. Ist es verkehrt, Zeit mit jemandem zu verbringen, von dem man genau weiß, es wird nicht halten? Wir sind so langsam in dem Alter, wo das problematisch ist. Wir sind beide 26 Jahre alt. Ich kenne ihren Kinderwunsch. Ist es da so gesund für sie, sich in eine lockere Affäre mit einem Typen zu stürzen, den sie nicht heiraten wird?
Sie riss mich aus meinen Gedanken. „Vielleicht ändert er sich ja noch…“
Ich warf ihr einen bösen Blick zu. „Klar. Er gibt seine Agentur für dich auf, verliert seinen Sixpack, damit du dich nicht so unwohl fühlst und sucht sich einen Job, der dir passt.“
„Jaja, ist ja schon gut….“
Sie wusste, dass ich recht habe. Sie wusste auch, dass sie sich in ihn verlieben wird, wenn sie das weiter laufen lässt. Sobald die beiden Sex haben, werden Gefühle freigesetzt bei ihr. Sie wird sich binden wollen. An einen Mann, mit dem sie nicht glücklich sein wird.
„Vielleicht lösche ich mein Profil am Besten wieder…“
„Tu das. Oder du schreibst weiter mit ihm, lässt dich aber nicht auf ein Treffen ein.“ Ich hatte das Gefühl, zu hart zu ihr gewesen zu sein.
„Mit welchem Argument denn? Ich will dich nicht heiraten?“
„Wozu brauchst du ein Argument? Du willst einfach nicht.“
„Dann wird er vielleicht böse…“
„Na und? Du musst dich davon lösen, dass dich alle gern haben müssen. Er ist ein fremder Mann, den du sowieso nicht in dein Leben lassen willst.“
„Eigentlich würde ich schon gerne…“
„Ja. Einmal Sex mit ihm, und dann? Dann bricht er dir das Herz, weil er zwei Wochen unterwegs ist mit irgendwelchen Models, während du zuhause sitzt und mit schlechtem Gewissen Schokolade in dich reinstopfst.“
Manchmal musste ich hart zu ihr sein. Das war nicht böse gemeint, aber sie verschließt oft die Augen vor der Realität.
„Ich möchte zusammen mit meinem Mann Schokolade in mich reinstopfen. Und Serien gucken. Und das ungeschminkt. Ich könnte mich vor dem Schönling doch nie abschminken. Der mit seiner südländischen, perfekten Haut. Und ich blass mit ein paar Pickeln. Und dann müsste ich Sport machen, weil er es auch macht…kotz-würg. Ich hasse Sport. Ein bisschen ist ja nicht verkehrt, das würde mir bestimmt guttun, wenn mich da mal jemand motiviert. Aber so viel…“
„Na siehst du. Dann gehen wir zwei morgen Sport machen. Und danach kauf ich dir eine Tafel Schokolade!“
In der Reihe „Friendstalk“ geht es um klassische Gespräche zwischen zwei Freundinnen. Mal vollkommen frei erfunden, mal angelehnt an wahre Ereignisse, mal haben sie 1:1 stattgefunden.
[…] Teil 1 findet ihr übrigens hier. […]