„Warum liebt mich denn nur keiner…“, weinte die kleine Paula, als sie mal wieder nach einem Streit mit ihren Eltern wütend in ihr Zimmer gestapft ist. „Warum verstehen sie mich nur nicht, ich bin nicht so schlecht wie sie immer sagen, aber trotzdem beschimpfen sie mich so.„, dachte Paula. Sie hatte wie fast jeden Tag Streit mit ihren Eltern. Was der eigentliche Grund oder Auslöser war, wusste sie gar nicht mehr.
Meistens war es irgendeine Kleinigkeit, die am Ende zu einem Riesenstreit führte, indem es immer nur darum ging, was für ein schlechter Mensch sie war. Ihre Argumente wollten Mama und Papa gar nicht hören, die seien „unsinnig„, sagte ihr Vater immer. Wer weiß, was sie wieder schlimmes getan hatte. Vielleicht hatte sie wiedermal keine Lust ihr Zimmer aufzuräumen? Oder hatte die Milchpackung draußen stehen lassen. „Das machst du nur um deine Mutter fertig zu machen.„, hatte Papa gesagt. Aber warum sollte Paula das tun? Sie war 15 und hatte ganz andere Sorgen, als eine Milchpackung oder wie es ihrer Mutter ging. Sie wollte nicht, dass es ihrer Mama schlecht ging, sondern einfach nur in Ruhe gelassen werden. Paula waren ihre Probleme wichtiger als alles, was Mama mal wieder wollte. In der Schule war sie immer eine Außenseiterin, die Jungs beachteten sie kaum, die „coolen“ Mädchen wollten nichts von ihr wissen und ihre Freundinnen waren auch meist mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Aber das letzte was sie wollte, war mit ihrer Mutter über irgendetwas reden. Immer war sie da, wenn Paula von der Schule kam. Wenn sie kurz aus ihrem Zimmer wollte, hatte Paula nie mal ihre Ruhe. Aber deshalb alles tun, um die eigene Mutter fertig zu machen!? Als 15-jähriges pubertierendes Mädchen? Paula wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Warum sollte Papa so etwas behaupten? Es wird einen Grund geben, wieso er sich so distanziert, Paula nie in den Arm nimmt und immer so kalt zu ihr ist. „Ich bin so eine miese Tochter„, schluchzte Paula weiter in ihr Kissen. Nein, ihr Vater war liebevoll zu ihrer Mutter und auch ihren Bruder nahm er in den Arm und redete normal mit ihm. Paula musste etwas getan haben, dass ihr Vater so zu ihr war. Wenn dieser sagt, Paula sei ein schlechter Mensch, hätte einen miesen Charakter und sei egoistisch und verletzend, dann wird das stimmen. Das ist die einzige Erklärung für sein Verhalten. Aber wie sollte sie das ändern? Konnte sie das? Immer wenn sie es versuchte, war ihr Vater genauso kalt zu ihr. Sie schaffte es einfach nicht. Sie konnte es nicht. Sie war schwach, oder vielleicht hatte er Recht und sie war einfach nur ein egoistischer, gefühlskalter Mensch, der ihre Eltern egal sind. Hatte sie am Ende zwei Persönlichkeiten? Wenn dem so sei, dann ist eine davon auf jeden Fall falsch und ein schlechter, sehr schlechter Mensch. Und eine miese Schülerin noch dazu, weil nie bekam sie Lob für ihre Noten. Diese waren zwar nicht die Besten, aber immer hin in manchen Fächern hatte sie 1-er und 2-er. Gut, es waren nur „unwichtige Fächer„, wie ihr Vater immer sagte, aber in der Schule konnte sie sich nicht so gut konzentrieren. „Ich bin zu dumm dafür„, hatte Paula oftmals während dem Unterricht und auch bei den Hausaufgaben gedacht. Das war sicher auch die Meinung ihres Vaters. Damit hatte er vollkommen Recht. Auch damit, dass sie zu dick sei. Es ist zwar schon Jahre her, dass er das zu ihr sagte, aber diese Worte hatten sich in Paula eingebrannt. Immer wenn sie in den Spiegel sah, sah die ein pummeliges, kleines, hässliches Mädchen, dass dringend aufhören sollte heimlich Schokolade zu essen. Sie war schon so oft im Badezimmer, um alles wieder auszukotzen, aber selbst dazu war sie zu schwach. Nicht einmal so etwas bekam sie auf die Reihe.
Erst Jahre später beschloss Paula endlich sich Hilfe zu suchen. Sie wollte nicht mehr so schlecht von sich denken, sich nicht mehr wertlos fühlen und endlich anfangen zu leben. Sie wusste nicht, ob dies der richtige Schritt ist, aber ein Versuch war es wert. Paula begann nach Jahren der Selbsterniedrigung und des Gefühls der Minderwertigkeit eine Therapie. Dort lernte sie, dass sie all die Jahre in ihrer Kindheit immer nur dem Ideal ihrer Eltern entsprechen wollte. Dass die Emotionslosigkeit ihres Vaters ihr gegenüber gar nicht unbedingt auf sie zurückzuführen ist, sondern mit Erlebnissen in seiner Vergangenheit zu tun hatte. Oder dass es seine Schuld war, dass sie so ein liebloses Verhältnis hatten, hatte Paula bis dahin nie in Erwägung gezogen. Zeitgleich suchte sie auch das Gespräch mit ihren Eltern, wo sich ihr Vater sogar für sein Verhalten entschuldigte und einsah, dass er anders hätte mit ihr umgehen sollen. Paula fühlte nach der Unterhaltung eine große Erleichterung, schaffte es aber bisher immer noch nicht, seine Anerkennung nicht mehr zu suchen. Bei allem was sie tut, dachte sie auch immer daran, dass ihr Vater stolz sein muss. Aber sie ist zuversichtlich, dass sie dies im Laufe der Therapie weiter lernen wird. Die Situationen von damals werden ihr immer klarer und sie sieht auch ihr falsches Verhalten ein, was durch eine Art Schutzmechanismus entstanden ist. Sie wollte zwar immer so sein wie ihre Eltern sie gerne gehabt hätten, aber da sie es nicht richtig hinbekam, tat sie genau das Gegenteil und schütze sich damit, ihren Eltern zeigen zu müssen, wie verletzt sie war. Ob sie ihre Probleme in den Griff bekommt und ob sie wieder vollständig gesund wird, weiß Paula noch nicht, aber sie hat sich fest vorgenommen alles ihr Mögliche dafür zu tun.
Bild: Pexels (Pixabay)
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