„Ich schreibe nur schnell zurück!“ „Ich guck nur mal grad was nach!“ „Ich muss mir nur noch etwas notieren.„. Solche und viele andere Sätze haben längst Alltag in unseren Beziehungen gefunden. „Nur mal schnell“ ist die Rechtfertigung für das Unterbrechen einer Unterhaltung, einer Unternehmung oder des gemeinsamen Abends. Wissenschaftler haben dafür mittlerweile einen Begriff erfunden: Phubbing.
Phubbing bezeichnet man das immer häufiger auftretende Phänomen, dass wir lieber auf unser Handy gucken, als uns mit unserem Partner zu beschäftigen. Das Wort setzt sich aus „Phone“ und „to snub“ (engl. „vor den Kopf stoßen“) zusammen.
Forschen fanden heraus, dass dieses Phänomen sogar unsere Beziehung gefährden oder gar zerstören kann.
Wie „Phubbing“ zu Unzufriedenheit in der Beziehung führen kann
Psychologen der Renmin University of China fanden in einer Studie heraus, dass Phubbing in der Beziehung zu Unzufriedenheit und gar Depressionen führen kann. Der Partner fühlt sich unwichtig und ungeliebt. Immer mehr bekommt man das Gefühl, gegen dieses technische Gerät konkurrieren zu müssen. Die Folge? Man greift meist selbst zum Smartphone. Ein Teufelskreis entsteht und irgendwann wird es so zur Routine, dass man gar nichts mehr mit sich oder miteinander anzufangen weiß, wenn der Handyakku mal leer ist…
Eine Studie der britischen University of Essex untersuchte, welchen Einfluss Smartphones auf unsere Kommunikation innerhalb der Beziehung haben. Die Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, dass die bloße Anwesenheit eines Handys die Entwicklung von Nähe und Vertrauen in einer Partnerschaft behindert, sowie Empathie und Vertrauen für den Gesprächspartner reduziert. Die Studie fand ebenfalls heraus, dass das Smartphone auf dem Tisch neben einem liegen zu haben, während der Partner gerade etwas erzählt, bereits signalisiert: „Ich höre dir nur halb zu!„.
Wir fühlen uns ausgeschlossen, wenn der Partner zum Handy greift. Das hat auch eine weitere Studie der Baylor University bewiesen. In extremen Fällen kann auch genau das zu einer Affäre führen. Es ist belegt, dass Menschen tendenziell eher dazu neigen, eine Bindung zu einer anderen Person als zum Partner aufzubauen, wenn wir uns die Anerkennung und Aufmerksamkeit woanders suchen müssen. Und das ständige Teilen der Aufmerksamkeit des Partners führt zwangsläufig zu schlechten Gefühlen. Viele von uns, so zeigte die Studie der Baylor University ebenfalls, greifen als Reaktion auf dieses Gefühl selbst zum Smartphone, um sich via Social Media wieder weniger ausgeschlossen zu fühlen. Ein Phubbing-Teufelskreis sozusagen.
Es lässt sich nicht mehr leugnen: Das Smartphone ist ein schleichender Tod für die Beziehung.
- Das Handy ist immer greifbar in der Hosentasche, oder liegt sogar bei Gesprächen oder beim Essen auf dem Tisch.
- In Gesprächspausen wird sofort das Handy gezückt.
- Ist der Partner gerade mal kurz weg oder beschäftigt (im Bad, am Spülen, …), wird die Gelegenheit direkt genutzt, das Smartphone zu checken.
- Mitten im Gespräch muss etwas nachgegoogelt oder notiert werden.
- Sofort nach dem Aufwachen muss das Smartphone gecheckt werden.
- Serien oder Fernsehen schauen ohne dabei das Handy in der Hand zu haben und irgendwo rumzuscrollen? Undenkbar.
Früher war alles besser
Diesen Satz kennt jeder von uns. Meist verwenden die Eltern oder Großeltern ihn, wenn sie von der „guten alten Zeit“ erzählen. Aber da ist tatsächlich etwas wahres dran. Hier kann man das Wort „früher“ auch für zwei verschiedene Zeiten verwenden.
„Früher“ im Sinne von damals, zur Anfangszeit der Beziehung. In der Datingphase greift keiner zum Smartphone. Da sind wir Feuer und Flamme für den Anderen, stellen Fragen, erzählen einander viel. Wir wollen den anderen kennenlernen und möglichst viel ungeteilte Zeit mit ihm verbringen. Das Smartphone rausholen beim Date? Ein absolutes No-Go. Hach, das waren noch Zeiten früher…
„Früher“ im Sinne von damals, als es noch keine Smartphones gab. Hier lässt es sich drüber streiten, ob das wirklich besser war. WhatsApp und Co. erleichtern Beziehungen auch ungemein, schaffen mehr Nähe, wo gerade auf Grund von räumlicher Distanz keine ist. Das ist ein großer Pluspunkt. Aber abends auf dem Sofa beim Netflix schauen schafft dieses kleine Gerät auch oft das Gegenteil: Distanz. Im Arm vom Partner liegen, gemütlich zusammen die gemeinsame Lieblingsserie schauen und er/sie nimmt das Handy aus der Tasche und öffnet WhatsApp oder Facebook. „Das hätte es früher nie gegeben“ würden unsere Eltern dazu sagen. Nun ja, das ist leider ausnahmsweise mal wahr.
Unhöflich, oder bereits ein Beziehungskiller?
Dass Phubbing unhöflich ist, darüber lässt sich kaum streiten. Aber ist es auch ein ernstzunehmender Beziehungskiller? Ja! Nicht nur die Wissenschaftler denken so, sondern auch viele Betroffene. Es macht zwar irgendwie gefühlt jeder, auch gerade die Menschen, die sich selbst über das Verhalten des Partners beklagen, aber das macht das Problem nicht weniger real und bedenklich.
Der permanente Reflex kann früher oder später eine Beziehung zerstören. Das ist mittlerweile ein ernst zu nehmender Fakt.
Forscher der Universität Bonn haben die App „Menthal“ entwickelt. Wer sie auf sein Smartphone lädt, erlaubt den Wissenschaftlern, Daten über sein digitales Nutzungsverhalten zu erheben. In Bonn wurden die Daten von 60.000 Smartphone-Usern ausgewertet. Das Ergebnis: Der Mensch beschäftigt sich täglich zweieinhalb Stunden mit dem Smartphone. Erschreckend: Durchschnittlich schauen wir 88 Mal am Tag auf unser Smartphone-Display!
Die Lösung des Problems?
Die Lösung klingt so einfach und banal, dass sie schon fast zu simpel wirkt: Legt verdammt noch mal das Handy beiseite und verbringt Quality-Time mit euren Partnern! Was ist denn daran so schwer? Sind wir wirklich so abgestumpft geworden, dass wir doppeltes Entertainment benötigen? Wenn das so ist, dann seid ihr vielleicht nicht mit der richtigen Person zusammen.
Wichtig ist, dadrüber zu sprechen. Fühlt euer Partner sich „bedroht“ von eurem ständigen Smartphone-Getippe, dann müsst ihr das ernst nehmen. Man kann beispielsweise einen anfänglichen Kompromiss schließen und 1-2 Handy-Detox-Abende vereinbaren. Wenn das gut klappt, dann vielleicht mal am Wochenende tagsüber drauf verzichten, wenn man gemeinsam unterwegs ist. Sicher sollte man für Notfälle erreichbar sein, aber mal ehrlich: Quizduell, Kicker, Instagram und Facebook können doch wirklich warten, wenn man seine Zeit mit dem Partner verbringt, oder?
Ein weiterer Schritt wäre, zuerst einmal herauszufinden, WARUM man ständig zum Smartphone greift, und WANN. In welchen Situationen geht deine Hand direkt in Richtung Handy? Studien zeigten, dass dies oft der Fall ist, wenn es einem der Partner zu intim wird. Angst vor Nähe spielt hier eine Rolle. Durch den Griff zum Smartphone wird Distanz zum Partner hergestellt. Dies kann möglicherweise auf ein Bindungsproblem hindeuten.
Ebenfalls wichtig ist es, selbst herauszufinden, was genau einen an der Smartphone-Nutzung des Partners stört. Geht es um den Kontrollverlust, weil man nicht weiß, mit wem der andere da gerade kommuniziert? Fühlt man sich vernachlässigt, weil es nie mehr Zeit zu zwei gibt und auf jedes Geräusch des Smartphones reagiert wird? Spielt Eifersucht eine Rolle oder Unsicherheit darüber, ob man vom Partner wirklich geliebt wird? Auch beim Beantworten dieser Fragen für einen selbst, lässt sich schon viel Konfliktpotential rausnehmen. Dennoch muss auch der andere die Sorgen des Partners ernst nehmen.
Beide müssen sich Gedanken machen und darüber kommunizieren. Sowohl derjenige, den das Verhalten stört, als auch derjenige, der Phubbing betreibt.
Tipps zum Entwöhnen
Oft ist es einfach nur zum Reflex geworden, zum Handy zu greifen. Wie oft haben wir es bereits entsperrt, drauf geguckt und wussten dann nicht, was wir eigentlich nun wollten? Genau so etwas lässt sich ganz leicht vermeiden.
- Armbanduhr tragen – So musst du nicht aufs Handy schauen, wenn du wissen willst, wie spät es ist.
- Handy-Platz – Vereinbart einen festen Platz, wo das Handy abends oder direkt nach dem nach Hause kommen hingelegt wird. So muss jeder extra aufstehen, um drauf zu gucken und die Momente wo „nur kurz“ was geschaut wird, werden definitiv weniger.
- Handyfreie Zone – Wer das Handy nicht als Wecker benutzt, kann das Schlafzimmer zur handyfreien Zone erklären. Wissenschaftler fanden heraus, dass wir besser schlafen, wenn das Handy nicht auf dem Nachtisch liegt und wir nicht noch durch Facebook scrollen, bevor wir die Augen zumachen.
- Digital-Detox – Wie wäre es einfach mal einen Digital-Detox-Day zu verabreden? Oder als Light-Version einen Detox-Evening? Handy aus, Beziehung an.
Wie denkt ihr über „Phubbing“? Kennt ihr das Phänomen auch? Habt ihr Tipps?
Unsocial Life - ein fast normaler Familienblog says
Schöner Artikel. Ich hab das Smartphone vor einem Jahr aus meinem Leben verbannt und nach anfänglichen Entzugserscheinungen bin ich jetzt sehr glücklich. Und das erstaunliche an der Sache ist, dass ich jetzt erst merke, wie degeneriert und abhängig der Rest der Menschheit ist. Hab vor Kurzem selbst einen Beitrag darüber verfasst. Wir haben nicht nur ein Problem in Beziehungen damit, auch in Familien, bei Freundschaften. Irgendwie ist überall die zwischenmenschliche Luft raus. Sehr traurig.